Willensstärke lässt sich trainieren

Willensstärke lässt sich trainieren
Peter Gerst

Willensstärke funktioniert wie ein Muskel - und lässt sich auch ebensoso trainieren. Die Business-Trainer Peter Gerst und Reinhold Stritzelberger erklären auf Grundlage ihres bewährten Seminarkonzepts, wie das funktioniert.

Der amerikanische Psychologie-Professor Roy Baumeister zählt zu den bekanntesten Erforschern der Willensstärke. In unzähligen Experimenten hat er Testpersonen nicht nur mit Süßigkeiten in Versuchung geführt, sondern auch mit Ablenkungen, Druck, Lob etc. Immer zeigte sich: Je öfter die Willensstärke benötigt wurde, um das eigene Verhalten zu regulieren und Versuchungen zu widerstehen, desto mehr erlahmte sie.

Das führt zu einer äußerst wertvollen Erkenntnis: Jede Handlung, für die Willensstärke benötigt wird, bezieht ihre Kraft aus ein und derselben Quelle, und jede erfolgreiche Willenskrafthandlung erschöpft eben diese Quelle ein Stückchen mehr. Mit anderen Worten: Ganz gleich, ob jemand eine Reihe zukunftsweisender Entscheidungen für sein Unternehmen fällen, mittags auf den Nachtisch verzichten oder seinen Ärger über den Verkehrsstau unterdrückt - all das raubt ihm Stück für Stück etwas von seiner Willensenergie.

Unser Wille funktioniert wie ein Muskel
Willenskraft-Forscher Baumeister hat aus all dem einen bedeutsamen Schluss gezogen: Der Wille funktioniert wie ein Muskel: Zum einen werden Muskeln bei Dauerbeanspruchung schwächer. Kein noch so trainierter Kraftsportler kann unendlich viele Liegestütze hintereinander wegpumpen - irgendwann ist seine Kraft erschöpft. Ebenso verhält es sich mit der Willensstärke. Zum anderen - und das ist die gute Nachricht - lassen sich Muskeln trainieren. Dann steigert sich die Zahl an Liegestützen. Ebenso können wir unsere Willensstärke ertüchtigen. Dann kann sie auch mehr leisten.

Strategie 1 - Willensstärke steigern durch Aufbauübungen
Diese erste und nächstliegende Strategie entspricht im Prinzip dem reinen Muskeltraining. Sie lautet: einen Widerstand überwinden, dann wiederholen, wiederholen, wiederholen, gefolgt von der Erhöhung des Widerstands, dann wieder und immer wieder wiederholen. Diverse Studien zeigen, wie bereits kleine, regelmäßige Willensstärkeübungen zu einer Steigerung der Willensstärke führen.

Beispiel: Studienteilnehmer durchliefen ein Programm, in dem sie aufgefordert wurden, ein einfaches, aber ihnen lästiges Verhalten an den Tag zu legen, z. B. Termine einhalten, aufräumen, jemanden regelmäßig anrufen oder Ähnliches. Es zeigte sich, dass die Teilnehmer dadurch nicht allein ihr ausgewähltes Verhalten besser steuern konnten. Sie begannen gleichzeitig auch, sich besser zu ernähren, weniger Alkohol zu trinken und sich mehr auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Strategie 2 - Willensstärke schonen
Die zweite Strategie leitet sich daraus ab, dass übermäßiger Gebrauch die Willensstärke wie einen Muskel erschöpft. Diese Strategie sieht vor, dass Sie am besten alles meiden, was Ihre Willensstärke unnötig beansprucht und damit schwächt.
In ihrem Buch über die Willensstärke beschreiben Gerst und Stritzelberger eine ganze Reihe von Methoden und Herangehensweise für diese beiden Strategien. Dafür drei Beispiele, die sehr schnell eine große Wirkung zeigen, im Privat- genauso wie im Berufsleben.

1. Überflüssige Willensstärke- Belastungen vermeiden
Ruhe, Kraft und Klarheit - es ist eine schöne Vorstellung, all das zu haben. Und es fühlt sich nicht nur gut an, voll innerer Ruhe, Kraft und Klarheit durch das Leben zu gehen - es bildet auch die Grundlage für eine großartige Willensstärke.
Da Willensstärke wie ein Muskel funktioniert, schöpft jede Entscheidung schöpft immer etwas an Willensstärke ab. Je mehr wir entscheiden müssen, desto mehr werden wir also in Sachen Willensstärke ermüden. Da wir diese Kraft immer bei der Entscheidung gegen spontane Impulse und kurzfristige Befriedigungsversprechen brauchen, ist klar: Je häufiger wir damit konfrontiert sind, desto häufiger müssen wir sie per Willensstärke abwehren. Anders formuliert: Je weniger wir uns Verlockungen und oberflächlichen Glücksversprechungen aussetzen, desto mehr Willensenergie sparen wir und desto länger bleibt unser Wille stark. Das widerspricht aber leider vollkommen der modernen Wirtschafts- und Lebensweise und stellt uns deshalb vor eine immense Anzahl täglicher Willensstärke-Herausforderungen.

Was schätzen Sie: Wie vielen Werbebotschaften sind Menschen, die in der modernen Industriegesellschaft leben, tagtäglich ausgesetzt? 200, 300, 400 …? Die Schätzungen vieler Experten reichen von 2.500 bis weit über 10.000. Täglich dringt eine Masse an Aufforderungen zum Kaufen und Konsumieren täglich auf uns ein. Wir können uns kaum dagegen wehren, denn das bedürfnisorientierte Kleinhirn nimmt alles dies als Reiz zum Essen, Trinken, Beutemachen wahr … Dieser schier endlose Strom zapft über den Tag hinweg unsere Willensenergie an. Schwer, dem zu widerstehen, und schwer, sich dem zu entziehen.

Vermeiden Sie also, sich allzu vielen Willensenergie-Räubern auszusetzen. Stellen Sie die laufende Hintergrundbeschallung ab. Lassen Sie Radio und Fernseher aus, statt sie im Auto oder beim Essen nebenher laufen zu lassen. Stellen Sie Emails und SMS-Eingang auf Ihrem Handy auf lautlos - sonst müssen Sie entscheiden, ob Sie gleich nachsehen oder damit warten. Lesen Sie nicht alles, was auf Ihrem Tisch oder Monitor landet - vieles davon ist Werbung. Wenn Sie nichts brauchen, lassen Sie so gar nicht erst falsche Bedürfnisse entstehen. Sie haben ein Handy, mit dem Sie zufrieden sind? Dann löschen Sie die Werbe-Email mit noch so verlockenden Angeboten ungelesen. Oder werfen Sie den Flyer, den Werbebrief gleich in den Papierkorb.

Sicher finden Sie selbst noch Einiges, das an Ihrer Willensstärke zehrt und das Sie leicht aus dem Leben verbannen können. Sie können sogar einen regelrechten Sport daraus machen und sich immer wieder darüber freuen, etwas entdeckt zu haben, von dem Sie sich befreien konnten.

2. Trainingseinheiten für mehr Willensstärke
Da Willensstärke wie ein Muskel funktioniert, bedeutet das unter anderem, dass Sie Ihre Willensstärke nach dem gleichen Prinzip trainieren können wie Ihre Muskelkraft. Dieses Prinzip lautet: die Kraft systematisch und in der richtigen Dosis gebrauchen. D.h. Sie wählen eine Übung, die Sie anstrengt, aber nicht auslaugt, und wiederholen diese Übung so lange, bis Sie sie locker absolvieren. Dann ist Ihre Kraft größer geworden.

Das spüren Sie nicht nur äußerlich, das ist sogar im Gehirn nachweisbar - bei trainierten Muskeln ebenso wie bei einem trainierten Willen: Früher gingen Wissenschaftler davon aus, dass sich das entwickelte Gehirn nicht mehr verändert. Heute weiß man, dass diese These nicht stimmt, dass sogar das Gegenteil zutrifft. Sobald ein bestimmtes Areal im Gehirn regelmäßig stark gefordert ist, entstehen dort zusätzliche Nervenzellen und zwischen ihnen Verschaltungen. Die Gehirnmasse wird an dieser Stelle dichter, im Prinzip wie ein Muskel, der durch Übung an Masse und Kraft gewinnt. Dies gilt auch im präfrontalen Cortex, dem für Willensstärke-Entscheidungen zuständigen Hirnbereich. Menschen, die verstärkt Willensentscheidungen treffen, also ihre Gedanken und Gefühle zur Steuerung des Handelns regulieren, entwickeln im präfrontalen Cortex mehr graue Hirnsubstanz. Das erklärt, warum viele bekannte Leistungssportler auch beruflich erfolgreich sind. Um ihre sportlichen Ziele zu erreichen, mussten sie sich disziplinieren und anstrengen. Das stärkte nicht nur ihre Fitness, sondern auch ihre Willensstärke. Damit taten sie sich auch im Beruf leichter, das für den Erfolg Wichtige anzupacken.

Absolvieren Sie also ein Willensstärke-Trainingsprogramm, in dem Sie über einen bestimmten Zeitraum hinweg systematisch kleine Willensentscheidungen treffen. Wählen Sie eine einfache Verhaltensweise, die Sie sich angewöhnen möchten, beispielsweise: den Arbeitsalltag mit 10 Minuten Atemübungen beginnen. Dieses Ziel soll Sie zwar fordern, aber nicht übermäßig anstrengen. Konzentrieren Sie sich jetzt jeden Morgen darauf, dieses eine Vorhaben umzusetzen und vor Arbeitsbeginn konzentriert zu atmen. Machen Sie es solange, wie es Sie herausfordert. Sowie Sie sich nicht mehr gefordert fühlen, wählen Sie ein neues Ziel. Dieses Programm wirkt auf die Willensstärke wie ein Hanteltraining auf die Muskeln. Je öfter Sie die Sache anpacken, desto stärker wird Ihre Willenskraft.

3. Freundschaft mit dem inneren Schweinehund schließen
Wir brauchen keine Willensstärke, um etwas zu tun, das wir sowieso gern tun. Wir benötigen sie immer nur dann, wenn wir uns zu etwas überwinden müssen: aufstehen, obwohl wir lieber noch liegenblieben, im Büro arbeiten, obwohl wir lieber in der Bar säßen. Je stärker in diesen Momenten das Verlangen nach den angenehmen Dingen wird, desto mehr Willensstärke brauchen wir, um uns dagegen durchzusetzen. Dann bemühen wir gern das Bild vom inneren Schweinehund, den wir überwinden müssen. Dabei ist es gar nicht nötig, ihn zu überwinden.

Das ist der Trick: Betrachten Sie Ihren inneren Schweinehund als Freund und Verbündeten. Hören Sie auf, ihn als Feind anzusehen - schließlich meint er es nur gut mit Ihnen und möchte er, dass Sie glückliche Momente erleben und Ihre Kräfte schonen. Dass dies langfristig nicht immer gut ist, weiß er nicht.
Sie werden das schnell merken, wenn Sie ihm das richtige Futter geben, das ihn zu Ihrem Antreiber macht. Sein Futter sind Ihre Gedanken, die Ihre Vorhaben widerspiegeln: Malen Sie ihm das angenehme Gefühl in den schönsten Farben aus, das Sie haben werden, wenn Sie beim Pitch morgen glänzen werden - dann wird er sie aus der Bar und an den Schreibtisch jagen, damit Sie dort noch einmal Ihre Vorbereitungen durchsehen und falls nötig optimieren.

Sie können damit auch Ihre großen Ziele noch attraktiver machen und dabei Ihre Willensstärke schonen, selbst wenn der Weg dahin steinig ist.

Mehr dazu:
Willensstärke: Energien freisetzen und Ziele erreichen
Haufe-Lexware, 1. Auflage August 2015, 128 Seiten broschiert und Kindle Edition
SBN-10: 3648070983 ISBN-13: 978-3648070987

Das Buch beschreibt in konzentrierter, prägnanter Form, was Willensstärke nach dem heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist, warum man sie trainieren und wie man sie bei der Bewältigung seiner beruflichen Aufgaben und Herausforderungen nutzen kann.

Über die Autoren

Peter Gerst
gilt als Experte für motivierende Kommunikation. "Wie kann man Menschen bewegen? Wie kann man sie begeistern, motivieren und überzeugen?" Der Keynote Speaker, Trainer und DIN-zertifizierte Business Coach hat darauf die Antworten gefunden. Dabei schöpft er aus seinen reichen Erfahrungen als PR- und Marketingberater, Rundfunk-Journalist, Moderator, Schauspieler, Regisseur, Vertriebs- und Personalleiter. Energie, Know How und Willensstärke gehören neben Körpersprache, Stimme und Rhetorik zum von ihm entwickelten 360° Überzeugungskraft-Training © und sind Thema seines neuen Podcasts "Abenteuer Menschen bewegen."

peter-gerst.de/willensstaerke

Reinhold Stritzelberger
gilt nicht erst seit seinem Buch zum Thema als "Deutschlands Experte für Selbstmotivation" (so die ARD). Als Keynote Speaker, Trainer und DIN-zertifizierter Business-Coach hat er schon unzählige Menschen dabei unterstützt, das zu erreichen, was sie wollen - nach seinem Motto: "Wer will, der kann - wenn er weiß, wie es geht." Der Diplom-Betriebswirt ist Gründer und Inhaber von RS-Training: ein Institut, das Führungskräften und Mitarbeitern von Unternehmen zeigt, wie man wesentliche Themen eigenverantwortlich angeht und bis zum Ziel durchzieht. Er ist Autor des Podcast-Bestsellers "Abenteuer Selbstmanagement."

selbstmotivation.de/buecher

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