Wird künstliche Intelligenz unsere Zukunft verändern?

Wird künstliche Intelligenz unsere Zukunft verändern?
Prof. Dr. Klaus Frick, Dozent für Mathematik und Physik

«Ich schlage vor, die Frage zu prüfen: Können Maschinen denken?» So eröffnet der britische Informatiker Alan Turing 1950 seinen berühmten Artikel «Computing Machinery and Intelligence». Heute, 70 Jahre später, ist künstliche Intelligenz in allen Bereichen unseres Lebens zu finden und vielfach nicht mehr wegzudenken – Turings Frage aber bleibt unbeantwortet.

Alan Mathison Turing ist der breiten Öffentlichkeit vor allem durch die Entschlüsselung der deutschen Enigma-Maschine bekannt – zuletzt im Biopic «The Imitation Game» aus dem Jahr 2014 verfilmt. Aber eben dieses Imitation Game, auch bekannt als Turing Test, kann als Geburtsstunde der künstlichen Intelligenz (KI) moderner Lesart gesehen werden: Ein menschlicher Fragesteller führt ohne Hör- und Sichtkontakt eine Unterhaltung mit zwei Gesprächspartnern, wobei einer der Partner ein Mensch ist und der andere ein Computer. Kann der Fragesteller nach einer gewissen Zeit nicht entscheiden, wer Mensch und wer Maschine ist, so hat die Maschine den Turing Test bestanden.

Natürlich sagt der Turing Test nichts darüber aus, wie eine solche Maschine konstruiert werden sollte. Darüber begannen sich im Sommer 1956 – zwei Jahre nach Turings tragischem Suizid – eine Reihe von Wissenschaftlern am Dartmouth College in New Hamshire Gedanken zu machen. Im Projektantrag an die Rockefeller Foundation schreibt der Mathematiker Marvin Minsky, man beabsichtige Maschinen zu konstruieren, die Sprache verwenden, abstrahieren, Probleme lösen, die momentan nur Menschen lösen können, und sich selber verbessern. Der Begriff des neuronalen Netzes taucht ebenfalls im Projektantrag auf.

Künstliche Intelligenz ist kein Blick in die Kristallkugel
Die Teilnehmer der Dartmouth-Konferenz – darunter Claude Shannon und John McCarthy – konnten die ambitionierten Ziele natürlich nicht sofort erreichen. Es begann vielmehr die ereignisreiche Geschichte der künstlichen Intelligenz (artificial intelligence [AI] ) mit ihren grossen Erwartungen, Erfolgen und Rückschlägen. Heute zählt KI zu einem der aktivsten Forschungsgebiete in der akademischen und angewandten Forschung.

Im Kern dreht sich unser heutiges Verständnis von künstlicher Intelligenz um einen zentralen Punkt: Vorhersagen. Damit ist jeder Prozess gemeint, der es erlaubt, aus verfügbaren Informationen Prognosen über fehlende, unbeobachtete oder zukünftige Informationen zu machen. Realisiert wird dies mit Modellen, die in Form von Software Input-Daten in Vorhersagen verwandeln. Aber ist jede Form von Vorhersage – z. B. die morgendliche Wetterprognose – bereits intelligent?

Eine Minimalanforderung an ein intelligentes Vorhersagemodell ist die Fähigkeit, sich selber zu verbessern und aus Fehlprognosen zu lernen.

Maschinelles Lernen (Machine Learning) befasst sich mit der Erschaffung von Modellen, die mithilfe von Daten trainiert werden und in der Lage sind, sich selber ständig zu verbessern. Leistungsfähige und günstige Rechner ermöglichen es heutzutage, Modelle zu trainieren, die viele Visionen der Dartmouth-Konferenz bereits erfüllen und deren Prognosen ständige Begleiter in unserem Alltag sind: Machine-Learning-Algorithmen entscheiden darüber, ob eine E-Mail in den Spam-Ordner verschoben wird, sie beurteilen jede Kreditkartentransaktion danach, ob sie vom Kartenhalter oder von einem Betrüger ausgeführt wurde, sie treten in Form von Chatbots mit Helpdesk-Besuchern in Kontakt, sie übersetzen Texte in verschiedene Sprachen oder gesprochene Sprache in Texte und erkennen und unterscheiden Objekte in Bildern und Videos. Selbstfahrende Fahrzeuge sind ohne Machine Learning genauso wenig realisierbar wie die moderne Landwirtschaft, die medizinische Diagnostik oder der Online-Handel.

Machine Learning und KI als Schlüssel zum Erfolg
Machine Learning und KI werden zusehends auch zu Schlüsseltechnologien in Industrie und Technik und gelten als Treiber der Digitalisierung. Die «Smartness» in modernen Produkten und Prozessen beruht letztendlich immer auf Modellen, die (Mess)daten verwenden, um Entscheidungen zu treffen. Die angewandte Forschung am NTB hat deshalb in den vergangenen Jahren die Aktivitäten in diesem Bereich stark forciert und unterstützt die heimische Industrie dabei, das grosse Potenzial zu nutzen. Ein Beispiel ist der PS-300-Scanner der Hilti AG, der zur Auffindung und Vermessung von Armierungseisen in Wänden und Decken verwendet wird. Im Gerät verbirgt sich ein Machine-Learning-Modell. Es klassifiziert den Untergrund automatisch und wählt dadurch optimale Rekonstruktionsalgorithmen aus. Die Dividella AG in Grabs verwendet Machine Learning, um die Qualität von Klebestellen während des Verpackungsprozesses vorherzusagen. «Predictive Maintenance» ist das Zauberwort, bei dem Maschinendaten verwendet werden, um Wartungsfälle vorherzusagen.

Können Maschinen nun wirklich lernen oder gar denken? Obwohl die Fähigkeit, Vorhersagen zu machen und zu verbessern, von einigen Wissenschaftlern wie Jeff Hawkins («On Intelligence») als Voraussetzung für menschliche Intelligenz gesehen werden, müssen wir zum jetzigen Zeitpunkt Alan Turings Frage mit einem klaren «Nein» beantworten. Die Machine-Learning-Modelle, die heute zum Einsatz kommen, repräsentieren einen Ast der künstlichen Intelligenz, der als narrow AI bezeichnet fwird: Vorhersagen können nur unter definierten und stark limitierenden Randbedingungen getroffen werden. Ändern sich diese Bedingungen teilweise nur marginal, so verliert das Modell seine Gültigkeit und die Vorhersagen sind wertlos. Cathy O’Neil beschreibt eine Reihe solcher Situationen in ihrem lesenswerten Buch «Angriff der Algorithmen» (engl. «Weapons of Math Destrucion»).

Die aktuelle Forschung verfolgt aber immer noch die Vision der Pioniere der Dartmouth-Konferenz. In den letzten Jahren hat sich etwa die Forschung im Bereich der explainable AI intensiviert: Aus welchem Grund fällen komplexe Machine-Learning- Modelle, z. B. Deep-Learning-Modelle in der Bildklassifizierung, gewisse Entscheidungen? Und wie können diese einem menschlichen Beobachter erklärt und begreifbar gemacht werden? Finden wir Antworten auf diese Fragen, so sind wir einem breiteren und robusteren Begriff der künstlichen Intelligenz (broad AI) einen grossen Schritt näher.

Auf Social Media Teilen:          

OST - Ostschweizer Fachhochschule Buchs

  Werdenbergstrasse 4, 9471 Buchs
  Schweiz
  +41 58 257 33 11
  bu-office@ost.ch
  http://www.ost.ch

Logo OST - Ostschweizer Fachhochschule Buchs

Könnte Sie auch interessieren