DNA als "Festplatte": Bregenzer Robert Grass und Schweizer Wendelin Stark für den Europäischen Erfinderpreis 2021 nominiert

DNA als

Keptthal/München (CH/D) Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung des österreichischen Forschers Robert N. Grass und seines Schweizer Kollegen Wendelin Stark für den Europäischen Erfinderpreis 2021 als Finalisten in der Kategorie "Forschung" bekannt. Die beiden Wissenschaftler haben ein Datenspeicherungsverfahren erfunden, das auf in Glas eingeschlossener DNA basiert und eine neuartige Methode zum langfristigen Erhalt von Daten bietet, indem in genetischen Code verwandelte Informationen in winzigen Glaskugeln künstlich fossilisiert werden.

Grass und Stark lösten die bisher existierenden Probleme von Datenspeicherung auf synthetischer DNA, indem sie ein Verfahren entwickelten, mit dem Daten in DNA-Form in winzigen Glaskugeln versiegelt und anschließend wieder fehlerfrei genutzt werden können. Damit erfanden die Professoren für Chemieingenieurwesen an der ETH Zürich nicht nur ein Speicherformat mit dem Potenzial, wertvolle Daten für Jahrtausende zu sichern, sondern auch einen robusten DNA-Barcode für den Einsatz in der Lieferkette.

"Grass und Stark zeigen, dass ein innovativer, disziplinübergreifender Ansatz technologische Fortschritte mit potenziellem Nutzen für viele zukünftige Generationen hervorbringen kann. Dies gilt insbesondere angesichts der zunehmenden Digitalisierung aller Aspekte des gesellschaftlichen Lebens", sagt EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2021. "Der Patentschutz ermöglichte es ihnen, ihre Forschung in eine Unternehmung mit gewerblichen Anwendungen zu verwandeln."

Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden am 17. Juni 2021 ab 19 Uhr im Rahmen einer Galaveranstaltung bekannt gegeben, die in diesem Jahr als digitales Event für ein globales Publikum neu konzipiert wurde.

Von Fossilien lernen und den digitalen Datenverfall verhindern

Die Menschheit generiert mit einer unglaublichen Geschwindigkeit Daten. Gleichzeitig werden diese entweder auf Festplatten und Servern gespeichert, die eine beschränkte Lebensdauer von selten mehr als einem Jahrzehnt haben, oder auf Magnetbändern bzw. sogar Disketten, die nach 20 Jahren zu zerfallen anfangen und sich zersetzen. Die Erfindung von Grass und Stark ebnet den Weg für eine Langzeitdatenspeicherung, die diese begrenzte Haltbarkeit überwindet, indem sie die DNA-Speicherfähigkeiten von Fossilien nachahmt.

Die Wissenschaftler lernten sich 2004 kennen, nachdem Stark zum Assistenzprofessor am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich ernannt worden war. Im selben Jahr wurde Grass einer von Starks ersten Doktoranden. Gemeinsam war den beiden vor allem eine Eigenschaft: ihre ingenieurwissenschaftliche Denkweise, die sie dazu brachte, neue Technologien darauf hin zu erforschen, welche medizinischen oder biologischen Verfahren für die Praxis in anderen technischen Bereichen verwendbar gemacht werden können

Das Schreiben (Synthese) und Lesen (Sequenzierung) der DNA war ein Bereich, der ihre Aufmerksamkeit erweckte. Dabei faszinierte sie insbesondere der Gedanke, dass DNA –zusätzlich zur Speicherung der genetischen Information jedes Lebewesens – als Mittel zur Aufbewahrung von Daten genutzt werden könnte. Dies geschieht durch die Umwandlung von digitalen Daten (eine Reihe von Nullen und Einsen) in eine entsprechende Sequenz der vier DNA-Basenpaare. Andere Wissenschaftler, wie der US-Genetiker George Church im Jahr 2012, hatten bereits bewiesen, dass die DNA-Datenspeicherung möglich ist.

Allerdings gab es noch ein Problem bei dieser Methode: Ungeschützte DNA-Stränge werden chemisch schnell zersetzt, wenn sie Wasser, Luft und Hitze ausgesetzt sind. Grass und Stark ließen sich zur Lösung dieses Problems von Fossilien inspirieren, in denen die DNA über Hunderttausende von Jahren konserviert ist. "Die Herausforderung war klar: DNA stabil zu machen", erklärt Grass: "Fossilien erwiesen sich als der richtige Weg. Daher untersuchten wir die chemische Struktur von Glasablagerungen auf der DNA, was uns schließlich zu der Verkapselungstechnologie führte."

2012 bildete das Team von Grass unter Starks Leitung diesen Schutzeffekt nach, indem es synthetische DNA in Glaspartikel einschloss, die bis zu 10 000-mal dünner sind als ein Blatt Papier. Mithilfe einer Synthesetechnik, die mit einer fehlerkorrigierenden Codierungsmethode des Kollegen Dr Reinhard Heckel (ETH Zürich) zum Ausgleich von DNA-Schäden und Datenverlusten arbeitet, werden die gewünschten Daten in DNA umgewandelt, die in Glaspartikel eingeschlossen wird. Diese nicht-porösen „Glasfossilien“ schützen die DNA vor den meisten Korrosionsmedien und Temperaturschäden.

Gleichzeitig kann sie leicht wiedergewonnen und gelesen werden, indem die Partikel mit einer Fluoridlösung behandelt werden, die zwar Glas auflösen kann, aber die Information nicht beschädigt. Mit dieser Methode konnte das Team von Grass eine fehlerfreie Datenwiederherstellung nach einer einwöchigen Lagerung bei 70 °C erreichen. Dieser Zeitraum bei erhöhter Temperatur entspricht der Umwelteinwirkung von 2 000 Jahren Lagerung bei durchschnittlichen Temperaturen in Mitteleuropa.

Auf diesem Erfolg aufbauend meldete die ETH Zürich ein europäisches Patent für Grass und Starks Erfindung an, das 2018 erteilt wurde.  

Was wäre, wenn: eine in DNA geschriebene Welt
Grass und Stark brachten ihr Konzept von der Forschung in die gewerbliche Nutzung, indem sie es über das 2016 gegründete ETH Spin-Off-Unternehmen Haelixa AG kommerzialisierten. Die Firma ist eine von mehreren solcher ETH-Ausgründungen, die von den Forschern auf den Weg gebracht wurden. Die Wissenschaftler sehen darin eine hervorragende Möglichkeit, patentierte Erfindungen auf den Markt zu bringen. "Wenn man eine Firma gründen will und möchte, dass eine Universität oder Förderagentur investiert, muss der Schutz des geistigen Eigentums überzeugend dargestellt werden", sagt Grass: "Deshalb ist die Patentanmeldung ein extrem wichtiger Schritt."

Es stellte sich heraus, dass die Glasfossilien von Haelixa ein äußerst nützlicher robuster Barcode für Tracking-Zwecke sind: Die winzigen DNA-haltigen Partikel werden auf ein Produkt oder eine Substanz angebracht und später zur Verifizierung abgerufen. Die Technik wurde bereits eingesetzt, um unterirdische Wasserflüsse zu verfolgen und Produkte in Lieferketten zu verifizieren, wie z.B. Bio-Baumwolle und Edelsteine aus konfliktfreien Quellen, die von Lieferanten mit zertifizierten ethischen Gewinnungspraktiken bezogen wurden.

Mit der Möglichkeit, immer größere Datenmengen zu speichern, rückt auch das Datenspeicherungspotenzial von Grass und Starks Erfindung stärker in den Vordergrund. Um die Technologie bekannt zu machen, wurde 2018 das Album "Mezzanine" der Gruppe Massive Attack im DNA-Format neu aufgelegt, indem die Forscher eine 15 MB große Datei in Stränge synthetischer DNA kodierten. Noch bekannter wurde das Verfahren 2020, als die erste Episode der Netflix-Serie "Biohackers" – eine 100 MB große Videodatei – erfolgreich auf DNA gespeichert wurde. Die hohen Kosten für das Schreiben synthetischer DNA schränken den Einsatz derzeit noch stark ein, aber Grass und Stark arbeiten daran, diese zu senken, indem sie die Ausrüstung für die DNA-Synthese vereinfachen. Grass ist zuversichtlich, dass die neue Technologie in den nächsten Jahren den Zugriff auf Megabytes an DNA-Speicher für nur wenige Euro ermöglichen wird, was sie für die sichere Speicherung wertvoller Informationen ideal macht.

Mit diesem Ziel vor Augen forschen die Erfinder weiter. "Wir stellen uns in nicht allzu ferner Zukunft eine Welt vor, in der das Lesen von DNA wirklich als Alltagstechnologie zugänglich ist", sagt Grass: "In der Welt, in der wir arbeiten, ist das Lesen und Schreiben von DNA so, als würde man einen Stift und Papier nutzen – ein viel alltäglicheres Medium, mit dem die Menschen interagieren können."

Auf Social Media Teilen:          

Haelixa Ltd

  Kemptpark 4, 8310 Kemptthal
  Schweiz
  +41 44 592 69 00

Kein Logo vorhanden

Könnte Sie auch interessieren